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WSPD18 – 7 Fragen an eine Betroffene

10/09/2018
Quelle

Hallöchen ihr Lieben.

TW: Suizid/Suizidgedanken/Selbstverletzendes Verhalten/Medikamentenmissbrauch

Heute, am 10. September, ist Welttag der Suizidprävention. Warum der so verdammt wichtig ist? Weil immer mehr Menschen duch Suizid sterben. Weil viele psychische Probleme haben und dafür keine Hilfe haben. Deshalb hat sich eine Gruppe Blogger*innen mit der Organisation von Babsi von BlueSiren zusammengefunden, um aufmerksam zu machen. Um Mut zu machen. Es gibt bei jedem von uns verschiedene Beiträge oder Videos, in denen gezeigt wird, was den Menschen hilft, was man tun kann, was glücklich macht.

Ich habe dafür ein Interview mit einer für mich sehr wichtigen Person geführt. Es ist sehr offen und ehrlich.


Kurze Vorstellungsrunde. Wer bist du?

Ich bin 25 Jahre alt und habe studiert. Als du mich gefragt hast, ob ich Fragen über Suizid beantworten möchte, habe ich sofort zugestimmt. Ich selbst habe innerhalb von einem Jahr zweimal versucht mir das Leben zu nehmen. Landete auf der Intensivstation und auf der Geschlossenen. Ich musste erst selbst verstehen, was mit mir los ist und akzeptieren, dass ich Persönlichkeitsstörungen, Ängste und Suizidgedanken habe. Gerade bin ich in einem Hoch und habe mein Leben im Griff. Geheilt bin ich nicht, doch das ist auch nicht möglich. Aber ich habe gelernt damit zu leben.

Ich finde es wichtig, Leute über Suizid aufzuklären, weshalb ich diese Fragen beantworte. Hierbei handelt es sich um meine Sichtweise, meine Erlebnisse und meine Meinung über dieses Thema. Ich bitte euch, diese zu akzeptieren. Jeder Betroffene erlebt es anders.

Was tust du, wenn es dir schlecht geht? An wen wendest du dich?

Noch vor einigen Monaten hätte ich gesagt, ich habe es zu gelassen, dass ich solche Gedanken habe. Ich habe sogar weitere schlechte Gedanken und Erinnerungen hervorgeholt um weiter in das „Loch“ zu sinken. Nur um einen Grund zu haben Tabletten zu nehmen und friedlich wegzutreten. Doch jetzt ist es anders. Ich habe erfahren, dass ich eine bestimmte Ausstrahlung auf Menschen habe und mein Leben nimmt gerade eine positive Wendung. Dennoch kommen manchmal Trigger (Auslöser für schlechte Gedanken), die mich wieder runterziehen. Doch jetzt lasse ich diese Gedanken zu. Ich akzeptiere, dass ich solche Gedanken habe und versuche, mir vor Augen zu halten, dass gerade doch alles gut ist. Dann wende ich weitere Skills an, wie Musik hören oder Freunden schreiben, was für mich sehr wichtig ist, damit ich merke das jemand für mich da ist und ich nicht allein bin.

Was würdest du Menschen mit Suizidgedanken empfehlen? An wen können sie sich wenden? Wer oder was hilft?

Mh, das ist schwer, denn ich selbst habe die Ratschläge auch nie angenommen.  Ich würde einfach sagen, ruft einen Freund an. Vielleicht erst mal nur ein belangloses Gespräch anfangen und dann zum Thema Suizid kommen. Damit man jemanden hat und mit seinen Gedanken nicht allein ist. Man kann sich auch an die Nummer gegen Kummer wenden und mit außenstehenden Leuten darüber reden.  Sollte das alles nicht helfen, geht oder ruft einen Notarzt. Er soll Leben retten! Und das tut er, wenn er euch daran hindert Tabletten zu nehmen oder anderes.

 

Es ist nicht wichtig, dass man es versteht, es ist wichtig, dass man es akzeptiert, dass derjenige gerade so denkt.

 

Was können Nichtbetroffene tun, um zu helfen? Und was sollte unbedingt vermieden werden?

Also mir hat es immer geholfen, wenn ich mit meinen Freunden schreiben konnte. Also sollten sich Nichtbetroffene auf jeden Fall Zeit nehmen, sollte sie ein Anruf erreichen, von einem Freund welcher weint oder aufgelöst ist, oder sogar abwesend wirkt. Sollte die betroffene Person schon vorher gesagt haben, dass es im Leben gerade  nicht so läuft, oder man selbst das Gefühl hat die Person würde sich anders als sonst verhalten, dann direkt nachfragen “Willst du dir das Leben nehmen?“ Denn so kann man schneller darauf reagieren und mit der betroffenen Person reden. Es ist nicht wichtig, dass man es versteht, es ist wichtig, dass man es akzeptiert, dass derjenige gerade so denkt.  Man sollte Sätze wie, „also mir geht es gerade auch so schlecht“ oder sogar „aber mir geht es gerade viel schlechter, denn ich habe….“ unterlassen. So etwas möchte man in dem Moment nicht wissen, denn für Suizidgefährdete ist gerade ihre Situation am schlimmsten und sie wissen nicht wie sie da raus kommen sollen. Sie können keine Lösungen finden als den Selbstmord.  Deshalb selbst Ruhe bewahren, den Betroffenen beruhigen und ihm zeigen, dass man aktiv zuhört, da ist und bereit, mit ihm zu reden und eine Lösung zu finden. Gern auch empathische Sätze wie „ich verstehe das“ oder „mir ging es mal genau so“. Das zeigt dem Betroffenen, dass er nicht allein ist. Auch zu sagen, dass der Betroffene ein wichtiger Teil im Leben ist, senkt die Gedanken, dass man nichts Wert ist.

Gibt es Organisationen, die suizidale Menschen unterstützen? Kannst du welche empfehlen?

In meinem Jahr mit den Suizidgedanken habe ich mich natürlich mit Organisationen beschäftigt.  Allem voran U25 Deutschland.  Sie helfen dir per Mail mit Suizidgedanken und Depressionen umzugehen und lassen dich mit deinen Problemen nicht allein. Das Gute hierbei, es sind Leute in deinem Alter, welche schon einmal mit diesen Themen im Leben zu tun hatten und extra geschult wurden.  Auch sie beteiligen sich aktiv an der Suizidprävention. Freunde fürs Leben ist eine Organisation die jetzt nicht direkt Beratungen anbietet, doch aktiv auf das Thema Suizid hinweist und über das Thema aufklärt und aufmerksam macht. Einige von euch kennen vielleicht auch das Semikolon Tattoo. Das Zeichen von Project Semicolon. Sie helfen Leute mit Suizidgedanken damit, dass sie ihnen das Gefühl geben nicht allein zu sein. Sie teilen Geschichten von Überlebenden oder Suizidgefährdeten und tragen so viel zur Suizidprävention bei. Mir helfen die Seiten sehr.  Sie geben einem das Gefühl nicht allein zu sein, dass es noch viele weitere Menschen gibt, die die gleichen Gedanken haben.

Welche Rolle spielen Filme, Serien oder Bücher für dich? Helfen sie dir? Findest du dich in ihnen wieder und richtig repräsentiert? Wenn ja – gibt es ein gutes Beispiel?

Sie spielen für mich eine sehr große Rolle. Schon in der 5. Klasse habe ich mit SVV (Selbstverletzendem Verhalten) angefangen. Damals unwissend, wieso, weshalb, warum. Ab der Gymnasiumzeit wurde es immer schlimmer und ich habe nach Möglichkeiten gesucht herauszufinden, was genau mit mir los ist. Dabei halfen mir Bücher sehr. Mein erstes Buch über dieses Thema war „Der Schmerz sitzt tiefer: Selbstverletzung verstehen und überwinden“ von Steven Levenkron. Er ist selbst Psychotherapeut und hat sich auf Leute mit SSV spezialisiert. Er zeigt Fallbeispiele und erklärt Symptome. Es zeigte mir, dass ich nicht allein bin mit den Gefühlen und Gedanken. Das bekannteste Beispiel ist aber „Tote Mädchen lügen nicht“. Spätestens seit der Netflix-Serie weiß fast jeder über die Geschichte von Hannah Baker Bescheid.  Einige geben Hannah die Schuld an ihrem eigenen Selbstmord. Auch meine Psychologin meinte, sie hätte aktiver handeln müssen. Doch darin liegt das Problem. Das kann man nicht als Betroffener. Man kann höchstens kleine Zeichen geben, in der Hoffnung, dass andere sie bemerken. Doch man zerbricht lieber an seinem Schmerz, als sein Leid preiszugeben, da man denkt sonst eine Last für andere zu sein. Nach meiner Meinung  ging es auch Hannah so. Es kam alles auf einmal und sie wusste einfach nicht was sie tun soll.  Und es sind gerade die kleinen Dinge, die sich anhäufen und einen dann fertig machen. Ein schönes Beispiel ist auch „A Silent Voice“. In dem Anime wird ein stummes Mädchen namens Shoko von ihrer neuen Klasse, besonders von Shoya gemobbt und ausgegrenzt.  Der Mobber selbst wird dann aber zum Opfer, als er Shoko verletzt. Er verliert seine Freunde und wird ausgegrenzt. Beide müssen mit ihrer Vergangenheit leben und auch für sie ist nur Suizid ein Ausweg, bis man ihnen zeigt, dass es weiter geht.  Ein guter Film, welcher zeigt, was Mobbing alles anrichten kann.

Gibt es noch etwas, das du unbedingt loswerden möchtest? Was ist noch wichtig?

Ich schäme mich nicht für das eine Jahr indem ich fast durchgängig Suizidgefährdet war. Im Gegenteil. Vielleicht musste es soweit kommen, damit ich verstehe was ich tun muss und was ich im Leben brauche. Ich habe in dieser Zeit auch gelernt, dass ich Freunde habe, welche mir zur Seite stehen, dass ich gute Werte habe, die Menschen an mir schätzen. Das alles hatte ich seit ich 10 bin vergessen.

Wichtig ist, dass man diese schwere Zeit nicht alleine durchsteht. Man sollte mit jemanden reden und sich Hilfe suchen. Es ist gut mit einem Psychologen zu reden. Er sieht die Dinge meist anders. Man ist nicht verrückt, nur weil man zu einem Psychologen geht.

Auch sollte man den Grund im Keim ersticken. Gut, nun ist das nicht so leicht, da man keinen Menschen vor schlechten Sachen schützen kann und uns schlechte Erlebnisse auch wachsen lassen. Aber ich möchte eher auf Mobbing hinaus. Jahre lang wurde ich gemobbt, ausgelacht und ausgegrenzt. Nicht nur von Schülern, auch von Lehrern. Auch zu Hause lief es nicht immer rund. Dabei ist es gerade für ein Kind/Teenager wichtig eine sichere Umgebung zu haben. Deshalb, man weiß nie was der Gegenüber gerade durchmacht und welchen Kampf er führt. Man sollte jedem Respekt und Akzeptanz gegenüber bringen. Manche sind still oder moppelig oder etwas anderes. Doch das macht sie nicht zu anderen Menschen.

Zum Schluss möchte ich mich bei meinen Freunden und meiner Familie entschuldigen. Das Jahr war sehr schwer für uns alle. Aber ich bin froh, dass ihr zu mir gehalten habt.

Danke für diese offenen & ehrlichen Worte und dass du dir die Zeit dafür genommen hast, von dir und deinen Erfahrungen zu erzählen.


Weitere Beiträge:

Diese Liste ist noch nicht vollständig. Im Laufe der Woche werde ich sie noch aktualisieren, wenn neue Beiträge erscheinen.

  1. Vielen Dank Kat und vielen Dank auch an die Person, die hier offen und ehrlich über ihre eigenen Erfahrungen berichtet hat.
    So etwas finde ich unfassbar wichtig. Dass nicht nur Psycholog*innen und Helfer davon predigen, dass alles besser wird und es viele gibt, die es überstanden haben – sondern Berichte von Betroffenen aus erster Hand, in ihren eigenen Worten und mit ihren eigenen Erfahrungen.

    Vielen Dank für den tollen Beitrag und Danke, dass ihr hier mitgemacht habt.
    Viel Liebe,
    Babsi

  2. Hallo Kat,

    ein tolles Interview, vielen Dank dafür! Wenn viele verschiedenen Versionen von erlebten Depressionen und Suizidgedanken bekannt werden, erhöht sich die Chance, dass alle Beteiligten besser damit umgehen können. Betroffene finden sich wieder und schöpfen im besten Fall Hoffnung, Angehörige lernen, wie sie damit umgehen können. Besonders die Botschaft, dass man sowas nicht allein durchstehen muss, ist sehr wichtig.

    LG, Jenny

  3. Vielen Dank für dieses Interview und einen so persönlichen Einblick in das Leben eines Menschen, der dir sehr am Herzen liegt. Ich habe von der Aktion bisher nichts mitbekommen und freue mich aber, dass es sie gibt und über ein solches Thema offener gesprochen wird – das ist so wichtig!

    Viele Grüße, Ramona (#litnetzwerk)

    1. Huhu 🙂
      irgendwie ist das immer noch so ein Tabuthema. Leider. Denn es ist so wichtig, darüber zu sprechen und Menschen wissen zu lassen, dass sie nicht allein sind. Und genau dafür war diese Aktion gedacht. Du kannst ja die anderen Beiträge auch noch durchgehen, falls dich das interessiert 🙂

      Liebe Grüße
      Katja

  4. Hallo Kat,
    das ist ein wirklich tolles Interview und ein großes Dankeschön an die Person, die dir deine Fragen beantwortet hat und dieses Thema näher gebracht hat.
    Leider ist Suizid immer noch ein Tabuthema und niemand mag so richtig darüber reden. Diese Aktion ist wirklich toll und wichtig. Schade das ich erst jetzt davon gehört habe. 🙁
    Aber ich finde es schön, dass es Menschen wie dich und die anderen Beteiligten gibt, die nicht darüber schweigen. 🙂
    Liebe Grüße
    Diana von lese-welle.de

    1. Hallo Diana 🙂
      Ja, leider. Es ist so wichtig und betrifft einfach so viele Menschen. Und das ist eigentlich kein Thema, bei dem einem unwohl sein sollte. Ganz im Gegenteil. Vielleicht würde dann viel mehr für Betroffene getan werden. Die Aktion war zwar für den WSPD, aber prinzipiell ist es immer wichtig und deshalb ist sie eigentlich nie wirklich zu Ende. Also wenn du etwas dazu beitragen möchtest, kannst du das jederzeit tun. Das wäre toll! 🙂
      Liebe Grüße
      Katja

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